Vanna Vinci: „Frida – Ein Leben zwischen Kunst und Liebe“ Graphic Novel

Frida – Ein Leben zwischen Kunst und Liebe von Vanna Vinci

Gastrezension von Dr. Ulrike Bolte:

Kongenial setzt die preisgekrönte Illustratorin Vanna Vinci mit fest umrissenem Strich und kräftiger Farbigkeit die Lebensgeschichte der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo in eine Graphic Novel um. Im Dialog mit dem Tod in verschiedenen Manifestationen – zu dem Mexikaner ein unangespanntes Verhältnis pflegen, was sich an den freudigen Festen wie Allerheiligen zu Ehren der Toten ausdrückt – wird die Lebens-, Leidens- und Liebesgeschichte Kahlos ausgebreitet.

 

 

Anhand von Erinnerungsstücken wie Fotos, später Briefen und Tagebucheinträgen schildert sie ihre Kindheit als Tochter eines deutschstämmigen Fotografen und seiner mexikanischen Frau, die Frida die Liebe zur indigenen Kultur vermittelt: eine der „typischen Tehuana-Frauen … schön, intelligent, stark und kompromisslos, die die ganze Familie beherrschten“. Nach ihrer Geburt am 6.7.1907 – den sie zum 6.10.1910 als dem Tag der Revolution stilisiert hat – wird sie von einer indianischen Amme „am üppigen Busen von Mutter Natur“ großgezogen. Die 5-jährige erlebt durchs Hausfenster den Kampf von Zapatas Campesinos gegen die Männer von General Carranza. Ihr Vater, der für die Regierung gearbeitet hatte, fiel in Ungnade und sie mussten Untermieter aufnehmen, zu denen später auch Trotzki gehörte. Über den religiösen Wahn ihrer Mutter machten sich die Kinder lustig – eine Art Hassliebe. Frida sieht sich selbst als Rotzlöffel und Plage im Kindergarten – ein unangepasstes Mädchen mit eigenem Kopf. Mit 6 Jahren erkrankt sie an Polio – Krankheit in der Zeit, die ihren Charakter formte, wie ihr imaginärer Dialogpartner feststellt, als sich ihre „unbändige und überbordende Überschwänglichkeit“ ausbildet, ihre „Extrovertiertheit, die versuchte, sich als Introvertiertheit zu formen“. Wie „Alice hinter den Spiegeln“ geht Frida durch eine Tür im Fenster, wo sie ihr Ebenbild trifft, dem sie Sorgen und Geheimnisse erzählt: dieser mythische Moment als Teil ihres Lebens ist immer präsent.

Der leichtfüßige Übergang von einer Realität in eine andere mit ihren Träumen und Hoffnungen ist ein durchgängiger Moment in ihrem Leben: die beiden Fridas in ihr, eine dunkle, geheimnisvolle und eine andere ausgelassen fröhliche und unbekümmerte. Im Fotoatelier ihres Vaters , mit dem sie eine tiefe Beziehung verbindet, lernt Frida das Retuschieren und die Aquarelltechnik in nebeneinander gesetzten Lasuren. Sie teilen Krankheit und Einsamkeit, ihr Vater lässt sie als einzige studieren: sie schreibt sich in vorbereitende Kurse ein, um Ärztin zu werden. Unter jungen Männern ist sie eine der wenigen Studentinnen, politisch links engagiert. Ihr burschikoses Auftreten in Männerkleidern, mit buschigen Augenbrauen und Damenbart  (die ihr Markenzeichen werden) ziehen viele Männer an. Bis zu jenem spektakulären Busunfall, bei dem sie lebensgefährlich verletzt wird und dessen Auswirkungen, Schmerzen und Leiden sie ihr Leben lang begleiten werden.

Vinci inszeniert ihren blutroten, mit Goldstaub bedeckten Körper, umgeben von Schriftzügen der zersplitternden Teile, Metallgeräuschen und Schreien wie eine Vision in kräftigen Farben – eine Ästhetisierung des Leidens. Wie Votivgaben in einer Kapelle, die eigentlich aus Dankbarkeit für eine Genesung gestiftet werden, hängen Nachbildungen ihrer malträtierten Körperteile hier ins Gegenteil verkehrt auf einer Leine: der bedeutendste Moment ihres Lebens und gleichzeitig der Beginn ihres Verfalls. Der Tod in Gestalt der Krankenschwester sitzt an ihrem Bett, hat jedoch nicht mit ihrer Leidensfähigkeit gerechnet. Doch er wird zu ihrem Leidensgefährten, ihrem Freund. Skelette und Mumifizierte umrunden Frida in ihren Streckverbänden, Korsetts und zahlreichen Operationen wie beim mittelalterlichen Totentanz. Mit viel Eigensinn kämpft sie sich zurück ins Leben, macht nach 3 Monaten einen Spaziergang durch die Hauptstadt. Doch es folgen immer wieder Rückschläge, die sie für Monate bettlägrig machen. In dieser Zeit beginnt Frida mittels einer speziell konstruierten Staffelei zu malen. Die Selbstbeobachtung im Spiegel ist die innere Selbsterkundung – ihre Selbstgeburt aus Schmerz und Introspektion heraus. Doch ihre erste tiefe Beziehung geht in die Brüche: schützend hält die ältere Frida ihre Hand über die trauernde junge Frida. Sie schenkt ihrem Freund ihr erstes Selbstporträt im Stil von Botticelli: eine Selbstgabe als Talisman und ein Beispiel für ihre Auseinandersetzung mit der europäischen Kunstgeschichte.

Bis 1927 hatte sich Frida so weit erholt, dass sie mit Korsetts und unter Schmerzen ein fast normales Leben führen konnte. Sie wurde von einem Freund in kommunistische intellektuelle Zirkel eingeführt, denen sie zeitlebens nahestand und verliebte sich in die Fotografin Tina Modotti, die sie mit Diego Rivera bekannt machte. Sie besuchte  den bekannten Muralisten im Atelier, um ihm beim Malen zuzusehen und ihm ihre Bilder zu zeigen. Frida, halb so alt und Diego, ein Frauenfreund und Verführer verlieben sich ineinander. Eine Amour Fou beginnt, in der beide Partner wechselnde Liebesbeziehungen sowohl mit Männern als auch mit Frauen eingehen, auch nach ihrer Hochzeit.  Auf einer Reise in die USA, bei der Rivera einige große sozialkritische Wandbildaufträge ausführt, knüpft Frida Kontakte zu Galeristen, die Ausstellungen über sie vorbereiten wollen. In dem Maße, indem sie ihre Kunst immer ernsthafter betreibt, werden zunehmend neben den Traumsequenzen auch Bestandteile ihrer Gemälde auf einer Seite integriert. Auf einer Parisreise lernt sie die wichtigsten surrealistischen Maler kennen, die Spuren in ihrem Werk hinterlassen wie Dali.  Die meisten Themen kreisen um ihren kranken, malträtierten Körper und die Beziehung zu Diego, die trotz Scheidung, dann spätere Wiederheirat  die wichtigste ihres Lebens bleibt: Malen als Therapie, auch als eine fast masochistische Auseinanderklitterung ihrer Körperschau, die den Betrachter schmerzlichst berührt. Immer wieder der Hinweis auf die indigene Kultur , ihr Schmuck und die farbenfrohe Kleidung, das Sammeln altindianischer Götterbilder, die in die Graphic Novel aufgenommen werden. Ihre mythische Stilisierung und Selbstüberhöhung umfasst auch ihren Tod: Als sie am 13.7.1954 stirbt, lässt Diego durch das Öffnen der Halsschlagader, der zwei Tränen entrinnen, blutrot wie ihre ikonische Hauptfarbe, ihren Tod bestätigen. Im Krematorium richtete sie sich mit in flammenden Haaren auf, erglühend wie eine Strahlenkrone – wie Zeugen berichten. Ein mystisches Bild, das ihren Tod umrankt, ist die präkolumbianische Urne mit ihrer Asche in ihrem blauen Haus in Coyoacán. Auf ihrem selbst verfassten Epitaph steht: „Ich hoffe auf einen erfreulichen Abgang – und darauf, niemals zurückzukehren.“

Kaum ist das Werk einer Künstlerin so sehr mit ihrer Vita verbunden wie dasjenige Frida Kahlos. Ihr  Leiden brachte es hervor und sie kämpfte sich damit ins und durchs Leben: eine Biographie, deren Mut den Betrachter aufwühlt und nachhaltig ins Bild gesetzt wurde: lesens- und anschauenswert! Auch die Tatsache, dass sich ein renommierter Kunstverlag einer Graphic Novel widmet und damit das Genre aufwertet, ist beachtenswert.

Die in Bologna lebende Autorin und Illustratorin Vanna Vinci hat ihre Geschichten bereits  in führenden italienischen Verlagen veröffentlicht. Zu ihren größten Erfolgen zählt eine Graphic Novel zu Tamara de Lempicka.

Vanna Vinci Frida – Ein Leben zwischen Kunst und Liebe Prestel Verlag München, London, New York 2017 ISBN 978-3-7913-8387-3, 22 Euro