Schlagwort: Autofiktion

Mädchen, 1983, Linn Ullmann

Als Autofiktion wird in der Literaturwissenschaft ein Text bezeichnet, in dem die Autorin oder der Autor erkennbar sind, in einer offensichtlich fiktionalen Erzählung. Oder kurz ausgedrückt: ›eine Fiktion strikt realer Ereignisse und Fakten‹. Diese Definition des Schriftstellers Serge Doubrovsky, auf den der Begriff Autofiktion zurückgeht, trifft Linn Ullmanns neuesten Roman ›Mädchen 1983‹ wohl am besten. Denn was daran Fiktion ist, was daran weiße Flecken, also Erinnerungslücken sind, die während einer schweren depressiven Phase der erwachsenen Frau gefüllt wurden, und was wirklich geschah, bleibt dahingestellt. Und das ist bestimmt kein Zufall. Es macht den Eindruck, dass Linn Ullmann gerade mit den vagen Vermutungen einer Realität und dem absichtlichen Verwerfen von Fakten einen absurd eigenständigen Raum für den Leser kreiert. Damit muss man bei der Lektüre dieses Romans erst einmal klarkommen, nur um anschließend der Autorin zu verfallen. Lässt man sich als Beobachter auf den Missbrauch des jungen Mädchens und das Trauma der erwachsenen Frau ein, so fragt man sich, warum Linn Ullmann dann die Geschichte des Fotos, das an all den Ereignissen von 1983 in Paris schuld war, ad absurdum führt. Denn das verloren gegangene Foto, das von der sechzehnjährigen Linn Ullmann damals in Paris aufgenommen wurde, von besagten übergriffigen Fotografen A, einem fast fünfzigjährigen Mann, soll nicht mehr existieren. Doch es ziert das Buchcover und wurde von einer Fotografin, Albane Navizet, die selbst einmal als Model arbeitete, gemacht.

Eine Autofiktion, die schwer mit Worten zu fassen ist, aber mit Linn Ullmanns Worten zu fesseln vermag. Ein Roman, dem man im wahrsten Sinne des Wortes verfällt, je mehr man sich einliest. Weiterlesen