Schlagwort: Roman

José Eduardo Agualusa: Barroco Tropical

Immer wenn sich die Redaktion aufmacht exotische Schriftstellerinnen und Schriftsteller kennen zu lernen, trifft man auf Bücher des Unionsverlag. So ja auch das vorliegende Werk „Barroco Tropical“. Angola, ist zunächst für uns Mitteleuropäer ein unbekanntes Terrain. Hier schließt der Autor uns ein Tor auf und lässt uns in das Herz des schwarzen Afrika blicken. Durch die Augen, der Autor schildert aus vielerlei Perspektiven das Leben, die Liebe, die Korruption und die Menschen in diesem Teil der Welt. Es ist bunt, geradezu grell, chaotisch, spiritistisch und manchmal unbegreiflich was in diesem Teil der Welt vorgeht. Sinnbildlich dafür steht der Ausspruch eines alten Einwohner Angolas: Ihr Europäer beschreibt wie Regen fallen kann, wir Angolaner reden mit dem Regen. Weiterlesen

Ta-Nehisi Coates: The Beautiful Struggle – Der Sound der Strasse

The Beautiful Struggle von Ta-Nehisi Coates

THE BEAUTIFUL STRUGGLE ist eine bewegende Vater-Sohn-Geschichte über die Herausforderungen der gesellschaftlichen Realität, in die wir hineingeboren werden, und über die Liebe, die uns davor beschützt. Die Einblicke, die Ta-Nehisi Coates mir in seine von Rassismuserfahrungen, Gewalt, Drogen und Bandenkriminalität geprägte Kindheit und Jugend gewährt, haben mich teilweise erschüttert, aber auch berührt. Das Baltimore dieses Heranwachsenden ist nichts für schwache Nerven und weist keine Gemeinsamkeiten mit dem Baltimore auf, dass ich in den 80igern kennenlernte. Überhaupt erscheint mir die Geschichte weit weg, hallt aber enorm in mir nach und lenkt gleichzeitig den Blick auf die Situation im eigenen Land, legt die Parallelen frei und bekommt dadurch Allgemeingültigkeit. Dank des sehr ausführlichen Namen- und Begriffsglossars von Julian Brimmer kenne ich jetzt Wörter, nach denen ich mich bislang nicht getraut habe zu fragen. Dass der Weg des Autors nicht in die Kriminalität führte, sondern er es bis nach Harvard schafft, ist an sich schon eine Lebensleistung. Weiterlesen

Lilli Gruber: Der Verrat

Mit „Der Verrat“ von Lilli Gruber liegt der letzte Teil der Südtiroler Familientrilogie vor. Vorausgegangen waren „Das Erbe“, in dem die über die Grenzen Italiens hinaus bekannte Autorin und ehemalige Abgeordnete im Europäischen Parlament den Spuren ihrer Familie folgt, während „Der Sturm“, die Kriegsjahre ihrer Familie und Südtirols beleuchtet und die Zerrissenheit zwischen Separatismus und Zusammenhalt aufzeigt. In „Der Verrat“ stehen die 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts im Fokus. Man merkt, hier ist eine Zeitzeugin und überzeugte Europäerin am Werk, die von ihrer Verwurzelung in der Heimat angetrieben, aufzeigt, wie in einem europäischen Land die entscheidenden Weichen gestellt werden für eine friedliche gemeinsame Zukunft. Weiterlesen

Bert Wagendorp: Tanz um die Wahrheit

Tanz um die Wahrheit von Bert Wagendorp

Ein Roman, der in den Niederlanden spielt, hat das Thema Wahrheit im Mittelpunkt seiner Handlung. Ein Kolumnist einer führenden Zeitung will seine Leser darüber informieren dass der Geheimdienst Pressemeldungen lanciert hat. Er ist aber absolut verwundert darüber, dass die Leserschaft die Zeitung verhöhnt und die Zeitung abbestellt. Der Autor geht auch der Frage nach, wie viel Wahrheit kann ich dem Leser zumuten. Kann man die Wahrheit veröffentlichen obwohl sie für einige Menschen gefährlich wird? Wie stelle ich fest wann Politiker die Wahrheit oder Teile davon mitteilen oder von etwas gewusst haben? Aus diesen ganzen Fragen macht der Autor ein spannendes Romanwerk das in der heutigen Zeit von FakeNews geradezu zum Nachdenken zwingt. Neben dieser Handlung, schildert uns der Autor eine Familiengeschichte die wohl nur in den Niederlanden passieren konnte. Weiterlesen

Susanne Abel: Stay away from Gretchen

Der Kölner Nachrichtenmoderator Tom Monderath macht sich Sorgen um seine 84-jährige Mutter Greta, die mehr und mehr vergisst. Als die Diagnose Demenz im Raum steht, ist Tom entsetzt. Bis die Krankheit seiner Mutter zu einem Geschenk wird: Erstmals in ihrem Leben erzählt Greta von sich – von ihrer Kindheit in Preussisch Eylau mit den geliebten Großeltern, Der Flucht vor den russischen Soldaten im eisigen Winter, ihrer Begegnung mit dem GI Robert Cooper in Heidelberg. Ist das der Schlüssel, um Gretas Traurigkeit zu verstehen, die auch Toms Kindheit überschattet hat? Als Tom auf Briefe und Bilder aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stößt, kommt er einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur. Wer ist das kleine Mädchen auf dem Foto, das Greta wie einen Schatz hütet? Mehr und mehr erkennt Tom, dass auch sein Lebensglück mit der Vergangenheit seiner Mutter verknüpft ist … Weiterlesen

Viet Than Nguyen: Die Idealisten

Die Idealisten von Viet Thanh Nguyen

Die wunderbare, bildhafte Sprache lässt Bilder in einer Geschwindigkeit entstehen, die atemlos macht, wodurch „Die Idealisten“ als Einschlaflektüre ausfallen. Es empfiehlt sich das Buch aufmerksam zu lesen und nicht der Versuchung zu erliegen, die Seiten schneller umzuschlagen. Einzig bei den Beschreibungen der Gewalttaten nimmt der Erzähler Tempo raus. So wie dem Ich-Erzähler wird auch dem Leser alles abverlangt, wenn der Erzähler sich mal als Ich, Du und dann als Wir vorstellt. Und so verwundert es auch nicht, dass ein Mann, der sich als Mann mit zwei Gesichtern sieht, immer wieder unvermittelt in Tränen ausbricht, weil er für alle Seiten – Kommunisten, Kapitalisten – Kolonialisten – Sympathien aufbringt und darüber sinniert: „Die Jahre als Spion, Schläfer und Maulwurf hatten mich einem so großen Stress ausgesetzt, dass das Gewinde meiner Schraube jetzt ausgeleiert war. Solange sie fest angezogen gewesen war, hatten meine zwei Seelen einigermaßen gut zusammengearbeitet. Jetzt drehte meine Schraube durch – der allgemeine Zustand der Menschheit – und saß nicht mehr fest.“ Weiterlesen

Yassin Musharbash: Russische Botschaften

Yassin Musharbashs soeben erschienene dritte Thriller, Russische Botschaften, ist auf Augenhöhe mit seinen – von den Kritikern hochgelobten – Vorgängern und bestätigt, der Autor hat vom Besten des Genres gelernt, dem er auch diesen Thriller widmet: John le Carré. Musharbash sucht für seinen Plot nicht in den Sternen, sondern bemüht das Hier und Jetzt. Seine Protagonisten:innen springen nicht aus Flugzeugen, kämpfen nicht mit dem Gegner auf dem Dach eines fahrenden Zuges und müssen auch nicht die ganze Welt retten: nur die Wahrheit. Die Geschichte nimmt langsam Fahrt auf, ohne zu langweilen und gibt mir die Gelegenheit meinen Platz in dem Team von Investigativjournalisten zu finden. Ich verstehe, wie sie arbeiten, akribisch, vorsichtig und umsichtig, auf höchste Sicherheit bedacht, bemüht keine Spuren zu hinterlassen, denn es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass der Feind auch in den eigenen Reihen zu finden ist. Mir gefällt, wie mit Fortschreiten der Geschichte, der Autor seine Protagonistin Merle Schwalb an der Geschichte wachsen lässt. Sie, ihre Schüchternheit, die ihr in der Vergangenheit im Wege stand, eine ganz große unter den Besten zu werden, überwindet und die Führungsrolle übernimmt. Weiterlesen

Annegret Held: Eine Räuberballade

Ein lebenspraller Roman, der uns in die Jahre um 1790 entführt und das dörfliche Leben im Westerwald in unnachahmliche Weise schildert. Es erinnert an das Decamerone des Giovanni Boccaccio in der Schilderungen des Lebensgefühls und des erotischen Umgangs zwischen den Geschlechtern. Es ist das Westerwalddecamerone der Annegret Held. Was man spannend und herzhaft lachen macht, ist die mundartliche Ausdrucksweise bei der man sich die Wörter laut vorlesen muss um deren Inhalt zu verstehen. Der Dialekt ist schon sehr speziell, wie die Westerwälder. Dass diese Räuber damals aber eine Plage waren, die Bauern und die Händler ausgeplündert haben wird auch deutlich. Mit Sicherheit wird eine Lesung mit der Autorin den Spaß dieses Buches noch deutlich erhöhen. Wun eysch des Erläwe könnt! Weiterlesen

Gestapelte Frauen, Patrícia Melo

Femizid: tödliche Gewalt gegen Frauen oder eine Frau aufgrund des Geschlechts (Duden)

Ein sehr kraftvoller Roman, der den alltäglichen Femizid in Brasilien zum Thema hat. Es ist keine Dokumentation, denn es erzählt die spannende Geschichte einer jungen Anwältin, die wegen eines Berichts über Frauenmorden in das Grenzgebiet Acre reist. Dort wurde ein vierzehnjähriges indigenes Mädchen auf brutalste Art und Weise gefoltert, verstümmelt, vergewaltigt und ermordet. Auf der Anklagebank sitzen drei junge angesehene Studenten aus besten Kreisen der Gesellschaft, Sprösslinge der mächtigen Herrn von Arce. Und so wird die Verhandlung trotz Beweisen und Zeugen eine Farce. Denn arme Frauen, schwarze Frauen und besonders indigene Frauen zählen in Brasilien so gut wie nichts. Und wenn man ein reicher Mann ist, dann kommt einem das korrupte System zur Hilfe.

Doch die junge Anwältin ist nicht nur Erzählerin und Beobachterin, sie selbst wurde erst vor Kurzem von ihrem Freund ins Gesicht geschlagen und als Schlampe tituliert. So bricht sie den Kontakt ab, Angst und Hass sind jetzt ihre Gefühle für Armir. Denn sie ist eine Frau mit Narben, Narben aus der Kindheit, da ihre eigene Mutter getötet wurde.

Der Roman ist hart und unverblümt geschrieben. Er berichtet von dem gelebten Recht der Männer, ihre Frauen wie Sklaven und Dreck zu behandeln. Aber es ist auch die Reise in den Urwald Brasiliens zu den indigenen Stämmen mit ihren Ritualen und zeremoniellen Drogen. Von kraftvollen Gedanken und Taten der Rache. Und der wichtigste Botschaft, die man Frauen nur mitgeben kann: Schweig nicht über eure Misere, schämt euch nicht für euer Verwundungen, sondern verbündet euch und desmaskiert die Täter.

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Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan

Eine Stadt, Triest, gibt den Ton an. Die Protagonisten beleben das Bild über Generationen hinweg. Die Geschichte spielt der Stadt und den Menschen teilweise übel mit. Jahrhunderte lang war Trist Österreichisch. Dann hat der Kaiser einen Krieg angezettelt und die Stadt und den Zugang zum Meer verspielt. Triest wurde italienisch. Nach dem Italienischen Seitenwechsel war dann Triest von Deutschland besetzt. All das hat die Familie teilweise zerrissen und neu geformt. Die Zerrissenheit wird sehr deutlich und nachvollziehbar geschildert. Enge Nationalismen sind Sprengsätze für Familienverbände. Dies macht er Autor sehr deutlich.

 

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