Dominic Smith: Das letzte Bild der Sara de Vos

Das letzte BildnisGastrezension: Dr. Ulrike Bolte

Auf drei verschiedenen Zeit- und Raumschienen entwickelt Dominic Smith die fulminante Geschichte eines Gemäldes des 17. Jahrhunderts, dem Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei. Es wird ein lebendiges Bild der damaligen Zeit entfaltet anhand einiger bis heute bekannter Ikonen wie der des gestrandeten Wals 1636, der in zahlreichen Grafiken festgehalten wurde oder der Tulpenmanie 1636/37. Dabei wurden Tulpenzwiebeln an Börsen gehandelt, wofür sie für die Kataloge gezeichnet wurden. Leute tauschten ihr Haus gegen eine einzige Tulpenzwiebel ein bis die ganze Spekulation zusammen brach und viele Leute mit Schulden zurück ließ, so auch den fiktiven Maler Barent de Vos. Seine Frau ist Stillebenmalerin, die erste Frau, die in die Malergilde aufgenommen wurde, aber jetzt sind ihre Tulpenbilder nicht mehr gefragt. Durch ihre Verschuldung werden sie aus der Gilde ausgeschlossen und bekommen keine Aufträge mehr, so dass Barent sich seinen Gläubigern durch Flucht entzieht.

Sara tritt in die Dienste eines Gutsherren und Kunstsammlers, wo sie das Bild eines Begräbnisses malt, vor ihren Augen den Tod der an Pest verstorbenen Tochter. Ihr anderes bekanntes Bild einer Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern und einem Mädchen am Waldsaum hängt drei Jahrhunderte später als Familienerbe im Schlafzimmer des New Yorker Anwalts Marty de Groot, wird entwendet und durch eine gut gefälschte Kopie ersetzt, was der Besitzer zunächst gar nicht merkt. Die Kopie wird von einer in den alten Techniken ausgebildeten Kunstgeschichtsdoktorandin verfertigt, ohne den kriminellen Hintergrund zu kennen. Das wie ein rotes Band durch den Roman entfaltete Motiv der Täuschung (von Bildern, Identitäten oder in der Liebe) kulminiert im Sydney des Jahres 2000, als die Kunsthistorikerin, jetzt Professorin an der hiesigen Universität, eine Ausstellung mit niederländischen Malerinnen des 17. Jahrhunderts kuratiert. Dafür bringt de Groot seine Version des Vos-Gemäldes nach Australien: der Spannungsbogen wächst – kann sich Ellie Shipley aus der Schlinge ziehen, die ihre Karriere zerstören würde? Sie weiß, dass die naturwissenschaftliche Untersuchung im Labor die Fälschung publik machen würde. Sie selbst hat schon ihre Entlassungsschreiben an die Universität und das Museum verfasst. Doch aus de Groots Rachefeldzug wird ein Ausdruck von Reue, da er sich die Liebe Shipleys zu ihm unter falschem Namen erschlichen und sie allein zurück gelassen hat. Im letzten Kapitel werden die Vergangenheit des 17. Jahrhunderts und die Gegenwart des Jahres 2000 miteinander verzahnt, als Shipley die Kopie in die Leidener Privatsammlung angeblich zurückbringen will. Dabei erfährt sie, dass ein anonymer amerikanischer Sammler – de Groot – das Gemälde abgekauft hat und sie sich endgültig von dem sie belastenden Gegenstand befreien kann, indem sie es verbrennt. Auf einem Dachboden findet sie wiederum ein „letztes“ Meisterwerk von Sara de Vos, ein selbstbewusstes Selbstporträt. So wird aus einem fingierten Bild in einem fingierten Lebenslauf letztlich doch noch ein wissenschaftlicher Forschungsgegenstand – eine Rekonstruktion, dessen Ende offen bleibt. Der Leser erfährt viel über den „richtigen Blick“ auf ein Gemälde von der Seite, sein Leuchten von innen heraus durch den pastosen Auftrag von Grundierung und Pigmenten, die häufig von den Frauen der Maler hergestellt wurden. Sie konnten sich höchstens als Blumenmalerinnen betätigen, Historiengemälde, Porträts, Landschafts- und Seestücke sowie Genrebilder blieben ihnen verwehrt und fanden unter ihrem eigenen Namen keine Abnehmer.

Dominic Smith Foto: Stacy Sodolak

Dominic Smith
Foto: Stacy Sodolak

Dominic Smith wuchs in Sydney/Australien auf und lehrt in Austin/Texas. Seine Kurzgeschichten waren für den Pushcart Prize nominiert und sind in mehreren Magazinen erschienen. Er hat mehrere Fellowships erhalten.

Vorbild für die fiktive Sara de Vos war Sarah van Baalbergen, die als erste Frau 1631, zwei Jahre vor Judith Leyster, in die Haarlemer Lukasgilde aufgenommen wurde. Von ihr ist kein Werk erhalten geblieben, während die Bilder von Leyster über 100 Jahre lang ihrem Lehrer Frans Hals zugeschrieben wurden. Momentan gibt es einen Hype von Kunstgeschichtsromanen, von Donna Tarts „Distelfink“ bis zu Hannah Rothschilds „Die Launenhaftigkeit der Liebe“. Gekennzeichnet durch ein immenses Insiderwissen und Spannungsbögen wie in Krimis vermitteln sie einen Einblick in die Welt der Kunst, angefangen mit den chemischen Zusammensetzungen über den fast sinnlichen Malprozess, das Ausstellungs- und Auktionswesen mit seinen Eklats bis zur Rezeption durch den Betrachter und nicht zuletzt des Lesers. Lesenswert!

Dr. Ulrike Bolte ist Kunsthistorikerin

Dominic Smith „Das letzte Bild der Sara de Vos“, Ullsteinverlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-550-08187-3