Hannah Rothschild: Die Launenhaftigkeit der Liebe

Die Launenhaftigkeit der Liebe von Hannah Rothschild

Die Launenhaftigkeit der Liebe von Hannah Rothschild

Gastrezension: Ulrike Bolte: Kenntnisreich und voller Humor entführt Hannah Rothschild den Leser in das Reich der Kunst: Angefangen vom kreativen Schaffensakt, der sich im persönlichen Pinselduktus niederschlägt, vom Bannen der Gefühle des Malers Antoine Watteau auf die Leinwand bis über die Reproduktionen in Drucken und Imitationen durch Jahrhunderte hindurch. Das (fiktive) Bild als Protagonist schildert seine eigene Geschichte, die Provenienz, die Besitznahme durch berühmte Persönlichkeiten, in deren Aufreihung sich der jeweilige Besitzer sieht: Voltaire, Ludwig XV., Madame Pompadour, Friedrich der Große, Katharina die Große, Napoleon, George VI., Queen Victoria bis es in jüdischen Besitz kommt.

 

Hanna Rothschild Foto Cory Wright

Hanna Rothschild
Foto Cory Wright

Hannah Rothschild, 1962 geboren, entstammt der berühmten Bankiersfamilie und arbeitet als Autorin und Filmregisseurin. Sie schreibt u.a. für Vanity Fair, The New York Times, Harper’s Bazaar und Vogue. Der Kunstbetrieb, in dem ihr Romanerstling spielt, ist ihr aufs Beste vertraut, da sie sich seit vielen Jahren in den Kuratorien renommierter Museen wie z. B. der Tate Gallery engagiert. Seit 2015 steht sie als erste Frau dem Board der National Gallery vor. Bisher liegt auf Deutsch nur ihre Biografie über ihre Großtante Nica Rothschild vor, „Die Jazz-Baroness“ (2013). „Die Launenhaftigkeit der Liebe“ war nominiert für den Baileys Women’s Prize for Fiction und wurde mit dem Bollinger Everyman Wodehouse Prize for Comic Fiction ausgezeichnet. Das Buch erscheint in rund zehn Ländern und hat in der englischsprachigen Welt Leser wie Kritiker begeistert.

Das Bild als Auslöser scheint immer wieder durch die Handlung, ist allwissend – sogar bis in die Zukunft: Rebecca Winkleman wird nach Verbüßung ihrer Haft und ihres Engagements für die Kunst 2025 geadelt. Kunsthistoriker, die in ihrer Passion für die Kunst, die Vermittlung von „Schönheit und ihrem Zauber“, deren wissenschaftliche Erforschung von Quellen in den Archiven buchstäblich ihr „Leben lassen“. Am Anfang steht das zufällige Auffinden eines Meisterwerks in einem Londoner Trödelladen durch die Köchin Annie  McDee und endet in einem Auktionshaus mit seinen Praktiken wie dem künstlichen Hochtreiben der Preise durch die Benchmarks und die servile Betreuung potentieller Kunden durch die Mitarbeiter. Die Kriterien, exorbitante Preise für ein Kunstwerk zu zahlen, liegen in der finanziellen Anlage in Kunst auf einem globalisierten Markt, deren Religionsersatz oder dem Präsentieren von Macht im gegenseitigen Überbieten. Man erfährt viel über die einzelnen Schritte beim Restaurieren: zuerst das versuchsweise Säubern einer kleinen Stelle  mit Wasser, Spiritus oder Aceton; die Herkunft, das Alter oder die Zusammensetzung der Pigmente; die Sichtbarmachung  von Über- und Untermalungen durch Schwarz-, UV- oder Infrarotlicht; die Anstückelung oder Beschneidung der Leinwand; der Rahmen; die Besitzerstempel auf der Rückseite.

In ihrem fulminanten Rundumschlag lässt Rothschild keine Thematik aus, wobei der zweite Strang einem Kunstkrimi ähnelt. Der Kunsthistoriker Trichcombe Abufel verbrachte Jahre, um wie ein Detektiv die Provenienz des Watteaubildes zu erforschen durch Dokumente und wissenschaftliche Verweise. Er findet heraus, dass sein ehemaliger Arbeitgeber Memling Winkleman von Winkleman Fine Arts seine alten Meisterwerke in Berlin jüdischen Familien, die deportiert wurden, geraubt hat. Ursprünglich hieß er Heinrich Fuchs, war Mitglied der SS und stöberte in ganz Europa in Museen und großen Privathäusern nach Kunstschätzen für Hitlers geplantes Museum in Linz im Auftrag des Einsatzkommandos Reichsleiter Rosenberg. Nach Kriegsende nimmt er die Identität eines Jungen der jüdischen Familie Winkelmann an, bis er 1946 auf einem Bauernhof in Bayern mit einem still gelegten Salzminenstollen, in dem 125 hochkarätige Gemälde und das Bernsteinzimmer (!) lagern, von den Alliierten gefunden wird. Er erhält neue Papiere als vermeintlicher Jude, der dem Todestransport entronnen war und kommt nach Amerika mit 500 Dollar, dem Watteau und einem kleinen Rembrandt. Über Jahre aqueriert  Memling alte Meister, ohne seine Quelle zu verraten, schleust sie in den Kunstmarkt ein und baut sich ein milliardenschweres Unternehmen auf. Abufel, den er förderte, wird mit seinem enormen Kunstwissen und fotografischen Gedächtnis für ihn zur Gefahr: er entlässt ihn, sorgt dafür, dass er in der Kunstwelt keinen Fuß mehr fassen kann und lässt ihn ermorden. Zuvor schickt der Kunsthistoriker seine Manuskripte und den entlarvenden Aufsatz an seinen Neffen in Wales. Dort werden sie von Jesse, dem Freund Annies, die wegen Diebstahls des Watteaus und Mordes an dem Trödelhändler im Gefängnis sitzt, sicher gestellt. Kurz vor der Auktion des Watteaubildes richtet ein Stromausfall im Verkaufsraum Chaos an und das Bild wird unter den Augen von Presse, Polizei und Wachpersonal gestohlen von einen Agenten des Premierministers, der das Gemälde unter den zahlreichen Interessenten für England sichern will – James Bond lässt grüßen. Zu guter Letzt wird eine Steuer erlassen, nach der jeder Brite 3 Pfund zum Erwerb des „Volksbildes“ zu entrichten hat. Für 240 Millionen Pfund sehen es Hunderttausende auf seiner Tour durch die Museen, wollen unter ihm heiraten und sich seine Geschichte zu eigen machen.

Wie ein roter Faden zieht sich, bedingt durch die Entstehung des Gemäldes als das Bekenntnis einer großen Liebe, neben der Kunstwelt eine Liebesgeschichte mit den unterschiedlichen  Protagonisten der Besitzer durch den Roman. Mit dem Bild „Die Launenhaftigkeit der Liebe“ gelingt es Annie endgültig, sich aus einer langjährigen Beziehung zu lösen, dem Leben wieder zu zuwenden, um zögernd eine neue zu zulassen. In ihrer Kunst des inszenierten Kochens erkennt man Übereinstimmungen mit der Kunst des Malens wie das Mischen der Pigmente, das Aufeinandertreffen der Farben – seit der Documenta XII 2007 mit dem Koch Ferran Adrià ein durchaus passabler Vergleich.

Manche Charaktere sind schrill-überzogen wie die hochgradig gekünstelte Figur des Mr. Barthomley Chesterfield Fitzroy St. George, seiner Namensherkunft  aus zusammen gesetzten Bahnstationen und seinen übertrieben verzerrten Auftritten und Kostümen – eine einzige Farce.

Das Buch ist ein vergnüglicher Lesespaß, regt an zu weiteren Assoziationen, zum Weiterspinnen der Geschichte – wie es in jeder guten Kunst liegt, sei es als Gemälde oder als Roman: unbedingt lesenswert!

Die Gastrezensentin Dr. Ulrike Bolte ist Kunsthistorikerin und hält zu diesen Themen Vorträge und Führungen.

Hannah Rothschild: Die Launenhaftigkeit der Liebe, DVA Verlag, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-421-04713-7, € 21,99